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Lektion 1: Das Ionische System

Vermutlich versteht man es am ehesten, wenn man es in der Gesamtheit sieht. Deshalb hier alle sieben Kirchentonleitern mit ihren Namen im Überblick. In den folgenden Lektionen gehen wir dann jede Tonleiter auch einzeln an. 
Das ist der "klassische" Weg, der ganz ohne Alterationen auskommt. Ideal, wenn Sie das Kirchengesangbuch rauf und runter singen wollen. Mit dem Basiskurs "Noten & Solmisation" erhalten Sie im Kirchengesangbuch genau dieses Ergebnis. Lieder starten bzw. enden auf verschiedensten Tonsilben. Grund: Wir haben es mit Kirchentonarten zu tun.

Tonart, Tonleiter, Modus, Leitton

Bei diesem sehr theoretischen Thema tauchen immer mal wieder die Begriffe Tonart, Tonleiter, Modus und Leitton auf. Es tut mir leid, manche Erklärungen mögen für Hobbymusiker unverständlich sein, aber denen, die einen tieferen Einblick in Harmonielehre und Funktionstheorie haben, werden sie helfen. Ich erkläre manches, aber nicht alles.

 

  • Tonleiter: Die Tonleiter ist die Darstellung aller Töne einer Tonart startend und endend mit dem Grundton.
  • Tonart: Tonart ist umfassender. Zu einer Tonart gehören nicht nur die Töne der Tonleiter sondern auch die Harmonien, die mit diesen gebildet werden können.
  • Modus: Dieser Begriff taucht im Zusammenhang mit Kirchentonarten auf und meint auch eine bestimmte Art und Weise, wie in dieser Tonart mit den Tönen musiziert wird (s. Wikipedia).
    So gibt es bei vielen Kirchenmodi eine sog. Hypo-Alternativen. Also z.B. dorisch und hypodorisch. Beide unterscheiden sich nicht in ihren Tönen, sondern in der Art wie diese verwendet werden. Modus meint also eher das "wie verwenden". Auf die "hypo"-Variante gehe ich hier nicht weiter ein.
  • Leitton: Der Leitton "leitet" in einem Halbtonschritt zum Zielton. Zielton kann jeder Ton einer Tonleiter sein. Eine besondere Bedeutung innerhalb einer Tonleiter kommt allerdings dem Leitton zum Grundton zu. Er liegt einen Halbtonschritt unter dem Grundton und ist gleichzeitig Durterz der Dur-Dominante. Fehlt der Leitton, weil die siebte Stufe einen Ganztonschritt unter dem Grundton liegt, gibt es auch immer Probleme mit der Dominante. Es gibt Kirchentonleitern mit und ohne "funktionierendem" Leitton zum Grundton.

Und los geht's. Hier die Kirchentonleitern im Überblick:

 

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IonischdoremifasolatidoHeute: Dur
Dorischremifasolatidore 
Phrygischmifasolatidoremi 
Lydischfasolatidoremifa 
Mixolydischsolatidoremifaso 
AeolischlatidoremifasolaHeute: Moll
Lokrischtidoremifasolati 
          

 

Zwei Dinge fallen sofort auf: Jede Tonsilbe kann Grundton ( Stufe 1) sein und es tauchen ausschließlich die sieben Tonsilben auf, keine Alterationen (z.B. fi).
Da es sich um Tonleitern handelt, endet jede Tonleiter auch mit dem Grundton (8). Der oben erwähnte Leitton befindet sich auf Stufe 7. Sehen Sie schon, wo es Probleme mit dem Leitton gibt, weil kein Halbtonschritt vorliegt?

Ich habe mi und ti hervorgehoben, damit Sie die Lage der Halbtonschritte mi-fa und ti-do sofort erkennen können. Sie sehen: Bei jeder Tonleiter liegen diese woanders, daher hat jede Tonleiter ihren ganz eigenen Klang und Charakter.
Das war der Sinn des Ganzen. Um einer Melodie, einem Choral einen anderen Charakter zu geben, hat man einfach eine andere Tonleiter benutzt. Denken Sie an die Gregorianischen Gesänge. Wir verwenden heute praktisch nur noch Dur und Moll, damals war die Vielfalt im Vergleich zu heute um einiges größer. Warum sich im Laufe der Jahrhunderte die Zahl der Tonarten auf Dur und Moll reduzierten, sehen wir im Verlauf des Kurses.

Vielleicht fragen Sie sich, wieso ein anderer Charakter entsteht, wenn man doch immer die gleichen Tonsilben benutzt. Es liegt an der Gewichtung, am Ausgangs- und Endpunkt. Ein Beispiel: Singen Sie einfach nur die Folge 1 2 3 4 5 4 3 2 1 in jeder Tonleiter. In ionisch kein Problem: do re mi fa so fa mi re do. Aber in Lydisch? fa so la ti do ti la so fa.
Probieren Sie "Alle meine Entchen" in ionisch, aeolisch, phrygisch usw. Klingt (fast) jedesmal anders. "Fast" weil im Lied nicht alle sieben Tonstufen vorkommen (7 fehlt). Daher kann man den Unterschied zwischen Ionisch und Mixolydisch, die sich nur in der 7. Stufe unterscheiden, gar nicht bemerken.
Wie komme ich denn darauf, dass die sich nur in der siebten Sufe unterscheiden? Die Silben sind doch auf jeder Stufe anders?

 

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Ionischdoremifasolatido
Mixolydischsolatidoremifaso

 

Die Antwort kommt in der zweiten Lektion;-)
Ich will Ihnen damit nur zeigen, dass sich die beiden Tonleitern Ionisch und Mixolydisch so, in der "klassischen" Tonsilbenzuordnung, momentan schlecht vergleichen lassen.

Wenn Sie den Basiskurs beherrschen, werden Sie zumeist la und do als Grundton bei Ihren Versuchen empfinden. Es ist gar nicht so einfach, beispielsweise die lydische Tonleiter mit fa beginnend zu singen. Ich kann es gar nicht verhindern und erwische mich spätestens bei ti dabei, wie ich auf den Grundton do hinsinge, der im lydischen aber gar nicht Grundton ist.
Das zeigt zum einen, wie gut die Konditionierung in der Solmisation funktioniert. Zum anderen, dass man eine Empfindung  nicht einfach ändern kann. "Empfinden Sie im lydischen Fa als Grundton" kann ich Ihnen zwar vorschlagen, aber es klappt nicht. Durch das Solmisationstraining ist mit hoher Wahrscheinlichkeit do und la als Grundton etabliert.
Warum? Weil es durch das Training so in Ihrem Gehirn "verdrahtet" wurde. Ihr "do = Grundton" Empfinden ist als Synapsenmuster in den Hirnzellen kodiert und ein "fa = Grundton" Empfinden eben nicht. Das ist ein Ergebnis des "Stufen erkennen" Basiskurses, in dem wir alle Stufen auf do beziehen. Da haben wir das erstmals "in die Synapsen geschrieben". Und wenn Sie infolge Lieder in Dur und Moll solmisiert haben, wurde es ständig bestätigt und gefestigt. Singen Sie viel in Moll, wird es auch ein gewisses LA = Grundton-Empfinden geben. Die Nutzung der Solmisation bestimmt, wie wir die Lieder empfinden. Haben wir 500 Lieder solmisiert, deren Grundton do oder la lautet, so können wir eben nicht beim 501. Lied fa als Grundton empfinden.

Diesen Umstand berücksichtigen wir aber in den nächsten Lektionen und Sie werden sehen, dass das gar keine Nachteil ist.

 

Spoilerlarm: Tonraum Moll

Das charakteristische am ionischen System ist, dass sich alle Tonleitern durch die sieben Tonsilben darstellen lassen. Das ist kein Widerspruch zu den Alterationen, die wir in den nächsten Lektionen durchführen werden.

In der elften Lektion "Tonraum Moll" werden Sie Tonleitern kennenlernen, bei denen das nicht mehr funktioniert. Diese lassen sich nur mit Alteration erzeugen und stehen deshalb außerhalb des ionischen Systems und der sieben Tonsilben.